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Bericht von Johannes Lenk aus dem Jahr 1957 über den Beschuss von Jugelsburg und Remtengrün Anfang Mai 1945

Johannes Lenk, später angesehener Lehrer und Adorfer Heimatforscher, war damals 12 Jahre alt und wohnte in Remtengrün.

Es war ein herrlicher Frühlingstag. Die Sonne schien warm, Vögel zwitscherten; die Natur machte einen recht zufriedenen und friedlichen Eindruck. Aber ein fürchterlicher und viel Unheil anrichtender Krieg tobte in unserem Vaterland, ja sogar im Vogtland.
Uns allen ist dieser Krieg noch in Erinnerung. Besonders die Adorfer werden ihn so schnell nicht vergessen. Es kam der Mai 1945. Diese Tage ließen uns fühlen, was Krieg eigentlich ist.

Bumm … ffft … wumm! So klang es den ganzen Tag. Die Amerikaner hatten schon die Freiberger und Arnsgrüner Höhen besetzt und schossen Adorf und die umliegenden Dörfer Jugelsburg, Remtengrün, Schadendeck und Siebenbrunn. Natürlich mußte ich des öfteren einmal hinaussehen. „Bleibst du hier“, ertönte dann immer die Stimme meiner Mutter, „die schießen auf alles, was sich irgendwie bewegt!“ Und so schien es auch zu sein. Ich hatte mich kaum wieder auf meine Matratze gelegt, als uns alle ein ohrenbetäubender Schlag in die Höhe fahren ließ. Krach – klirr, es hatte eine Granate einschlagen. Wir sprangen alle auf, rafften unsere Koffer auf und wollten zur Kellertür und ins Freie. Fort, weit weg, sich dort verstecken, wo man sicher war. Doch es gelang niemandem, denn ehe wir überhaupt an die Tür gelangten, krepierte eine weitere Granate – ein zweiter Treffer hatte eingeschlagen.
Uns war nicht zum Lachen, die Frauen weinten, die Männer gaben kurze Anweisungen und auch ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Als mein Vater, der nach oben in die Wohnungen gegangen war, zurückkam, erfuhren wir, daß sechs Meter neben dem Haus eine Granate explodiert war. Durch den Luftdruck waren sämtliche Fensterscheiben zu feinen Glassplittern zerschlagen worden. Der Gartenzaun, Bäume, die in der Nähe standen und viele Steine lagen verstreut und zertrümmert im Garten, auf der Straße, im Haus und sogar auf der Scheune. Wir bemerkten, daß die Scheune getroffen war. Sah das aus! Überall lagen Holzteile. Wir waren alle heilfroh, dass es keine Brandgranaten waren, sonst hätte es lichterloh gebrannt.
An diesem Tag kam auch ein fünfjähriges Kind ums Leben, es wurde von den Splittern einer Granate zerrissen.

Es wurde Abend. Noch immer hörten wir von Zeit zu Zeit Granateinschläge. Vor Müdigkeit fielen uns die Augen zu. Wir wollten uns etwas ausruhen, als zwei Frauen in den Keller stürmten und riefen: „In Adorf brennt die Fabrik!“ Wir liefen alle hinaus und sahen das schreckliche Bild des Krieges. Die ganze Stadt konnten wir übersehen, denn von dem Ortsteil Remtengrün aus hat man eine gute Weitsicht.
Zuerst brannte nur ein kleinerer Teil der Fabrik. Aber immer wieder neu einschlagende Granaten vergrößerten den Brand sehr schnell. Wenige Minuten nur dauerte es, und die Fabrik war ein einziges Flammenmeer. Ein großer Teil der Stadt war von den Flammen erleuchtet. Deutlich erkannte man, welche Gebäude getroffen worden waren.

Unsere Baumwollspinnerei und –weberei, die weit über tausend Menschen Arbeit und Brot gab, wurde in dieser einen Nacht fast zur Hälfte zerstört. Ein Viertel der Spinnerei und weit über die Hälfte der Weberei brannten in dieser Nacht aus. 2800 Quadratmeter Oberlichtfenster wurden allein in der Spinnerei zertrümmert. Das Fabrikgebäude glich einem großen Schutthaufen. Damit allein waren aber die Amerikaner noch nicht zufrieden.

     

Nicht nur die Baumwollspinnerei und –weberei erlitt schweren Schaden, sondern auch Wohn- und Verwaltungsgebäude der Stadt. Die Post, Giebelsteine des Rathauses, beträchtliche Teil der Kirche, zwei Gerbereien, die Schule und weit über dreißig Wohnhäuser wurden beschädigt. Eine große Anzahl Scheunen am Stadtrand und fünf Wohnhäuser brannten bis auf die Grundmauern nieder.

In diesen Tagen kamen in Adorf 77 Menschen ums Leben, Soldaten, aber auch Frauen und Kinder, Männer, die ihrer Arbeit nachgingen und ältere Leute. Von den Ortsteilen wurde Jugelsburg am schwersten getroffen. Neben sechs Häusern und zwei Scheunen, die niederbrannten, gab es auch hier Tote.
So wurde Adorf in den ersten Maitagen des Jahres 1945 zum Kriegsschauplatz. Keiner der Bewohner hatte sich den Krieg so schrecklich vorgestellt.

(Aus: Kriegsschäden und Aufbau in der Stadt Adorf, enthalten in dem Heft „Aus unserer Heimat“, Heimatkundliche Lesestoffe aus dem Kreis Oelsnitz, Druckerei Franz Neupert, Plauen, 1957)

Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Holger Übel, Jugelsburg. Vielen Dank!