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Arnold Sprong über seine Zeit im Kriegsgefangenenlager in Adorf

Wie viele amerikanische Kriegsgefangene schrieb Arnold Sprong seine Erinnerungen an die Kriegszeit nieder. Er gab jedoch auch ein Interview, das einen beträchtlichen Teil von seiner Zeit im Krieggefangenenlager der Reichsbahn am Adorfer Maschinenhaus handelt.


Der Bericht beginnt bei Arnold Sprongs erster Zeit in der US Army und geht weiter über seine Gefangennahme in Frankreich. Im Folgenden die Übersetzung des Adorf betreffenden Auszugs (die Zeit als Kriegsgefangener in Adorf, ca. ab Minute 22:30):

... Schließlich erreichten wir ein großes Lager, welches sie 12D nannten, der konkrete Name entfällt mir gerade [Stalag 12D Waldbreitbach, Rheinland]. Es war ein großes Lager, dort waren Serben, Russen, Amerikaner, Briten. Wir waren nur etwa eine Woche dort; eines Morgens riefen sie uns um 4 Uhr früh zur Aufstellung. Alle Juden sollten einen Schritt vortreten. Ich habe keine Ahnung, was ihnen später passierte. Ich kannte einen der jüdischen Kameraden, er stand in diesem Moment in meiner Nähe. Er trat einen Schritt vor und das war das letzte, was ich von ihm gehört habe. Zumindest, was ich wirklich hörte – ich denke, sie wurden zunächst getrennt von allen anderen. Ich glaube nicht, dass sie getötet wurden, aber ob das mit Sicherheit so war, habe ich nie erfahren.

Jedenfalls wurde der Rest von uns in ein anderes Arbeitslager gebracht [Adorf]. Ich war Private First Class damals, und Offiziere und Unteroffiziere wurden im Lager natürlich von der Arbeit ausgenommen, aber möglicherweise bekamen wir besseres Essen, weil wir arbeiten mussten. Also, wir waren 80 Mann im Lager, das sich am Fuß eines Ringlokschuppens befand. Sechs oder sieben Jungs aus Pennsylvania arbeiteten im Lokschuppen, außerdem einige Tschechen. Wir fragten unsere amerikanischen Kameraden, die im Lokschuppen arbeiteten mehrmals, ob sie jemals versucht hatten die Technik zu sabotieren, aber sie sagten: Nun ja, es sind die Tschechen, die gut genug sind um Sabotage zu betreiben, die waren wirklich gut in den technischen Sachen.

Blick auf den Lokschuppen vom Bahndamm der Lagerseite aus. Das Lager selbst befand sich noch etwas unterhalb, am Fuß des Bahndamms. Foto: A. Goßler, April 2014

Unsere Jungs machten mehr Hilfsarbeiten. Aber etwa 20 von uns, darunter ich, arbeiteten in einer Textilfabrik. Wir arbeiteten auf einer Art offenen Güterwaggons, um Kohle zu schaufeln. Die konnte man nicht einfach abkippen oder durch eine Öffnung abladen, sie musste herunter geschaufelt werden. Und man kann sich vorstellen, welche Blasen an den Händen man davon bekam. Also, 20 von uns arbeiteten in der Textilfabrik und weitere 20 bildeten die Eisenbahneinheit („railroad gang“). Der Eisenbahn-Arbeitstrupp arbeitete an den Gleisen und besserte Lücken und Schadstellen an den Gleisen oder abgestellten Maschinen aus, die die Bomber in der vorherigen Nacht geschlagen hatten.
Ich hatte einen kleinen Schwarzmarkt für Zigaretten, und auch Geld [die Kriegsgefangenen erhielten lt. Frederick O. Scheer jeden Monat 32 Reichsmark als „Arbeitslohn“]. In dem großen Lager zuvor hatte man uns erzählt, dass man, wenn man nicht genug Zigaretten hatte, aufgeschmissen war – wobei ich nie erfahren hatte, wie viele Zigaretten „genug“ waren […] Von wem die Zigaretten waren? Von den Deutschen. Sie waren die am Ende der Kette, aber dazwischen waren noch einige andere Leute. Ein Serbe [in dem ersten Lager] zum Beispiel konnte dich mit anderen Leuten im Lager in Kontakt bringen, wenn du genug Zigaretten hattest. […] Regelmäßig hatten wir Radios, die auf dem gleichen Weg zu uns gelangten; sie wurden ins Lager geschmuggelt. Manchmal wurden sie gefunden, man bekam dann schnell eine Information aus einer anderen Baracke.

Als sich der Krieg dann seinem Ende näherte, mussten unsere Wachen (die zumeist alte Männer waren) zum Volkssturm, wo viele 60-70jährige kämpfen mussten. Die Lagerwachen waren allgemein nicht grausam, solange man tat, was man tun sollte. Einmal zum Beispiel luden wir Kleidung ab, Hosen und Jacken, die in Bündeln waren, und offenbar war ich einer der ersten, der erkannte, was es überhaupt war. Und der erste ist der „Gewinner“, so dachte ich mit meinen Khakis. Also stahl ich ein Paar Hosen. Ich zog meine eigenen Hosen aus, die neuen untendrunter und meine alten wieder obendrüber, so dass ich nun zwei Paar Hosen an hatte. Einige andere Kameraden machten es dann genau so, aber der letzte, er war von Spokane, Washington, wurde erwischt. Er hieß Sylvester, glaube ich. Sie steckten ihn ins Straflager, so nannten sie es. Das bedeutete Einzelhaft im Dunkeln. Er musste in ein anderes Lager, ein Gefängnis, in eine Zelle mit Betonfußboden, ohne Wärmequelle – und es war Winter. Sie nahmen ihm seine Hosen ab, und ich bin sicher, dass er Erfrierungen hatte, an den Zehen sicher. Er musste etwa drei Wochen dortbleiben, es war eine harte Strafe für dieselbe Sache, die ich auch getan hatte, nur dass er erwischt worden war und nicht ich. Er war nur etwas langsamer gewesen. Warum sie uns nicht alle durchsucht hatten, weiß ich nicht, aber sie taten es nicht. Normalerweise wäre ja ich dran gewesen. Aber scheinbar wollten sie keine große Sache daraus machen. Nur einer musste eben dran glauben.

Was die Wachen angeht, so kam es darauf an, wer es war. Manche waren schroff und grob, aber die meisten Probleme bekamen wir immer mit dem Vorgesetzten der Wachen, den Unteroffizieren, die das Kommando im Lager hatten. Diese nahmen zum Beispiel Privilegien zurück, kürzten Rationen – Essen war unser Hauptproblem.
Das einzige Mal, dass ich gesehen habe, wie einer der Gefangenen angegriffen und verletzt wurde, war, als wir durch die Stadt marschierten. Plötzlich sprang ein großer Kerl aus der Menge auf uns zu und schlug den Mitgefangenen, der genau vor mir ging, ins Gesicht, dass er blutete. Vermutlich hatte er jemanden aus seiner Familie verloren oder war ausgebombt. Jedenfalls gingen wir einfach weiter, die Wachen taten auch nichts. Der Mann hatte offenbar einfach wild und ohne jemanden konkret auszusuchen zugeschlagen; er war einfach wütend aus einem Grund.

Eine meiner Aufgaben in der Textilfabrik, außer Kohle schaufeln, war folgende: Nachts gab es eine Deckenbeleuchtung in der Fabrik und ich und, ich glaube, ein Mitgefangener und zwei Fabrikarbeiter kletterten immer auf das Dach. Um die Deckenbeleuchtung, das Oberlicht, nutzen zu können gab es hölzerne Rahmen mit Dachpappe, die tagsüber weggenommen wurden, um dann das Tageslicht zu nutzen und auch zu lüften. Wir gingen abends oder nachts hoch, das auch im Winter bei Schnee und manchmal wateten wir oben durch Wasser. Einer der Arbeiter war ein echter Nazi, zumindest trat er so auf. Ich konnte ein wenig Deutsch, das ich gelernt hatte. Und ich glaube ich brachte mich selbst in Schwierigkeiten, denn ich sagte etwas, das ihn richtig wütend machte. Er schlug mich und stieß mich ins Wasser. Der andere der beiden packte mich, als würde ich mich auf den ersten Mann stürzen wollen, aber der war viel größer als ich, denn ich war ein richtiges Fliegengewicht damals. Jedenfalls war er wirklich grob.

Vorhin erwähnte ich schon unsere Wachen, viele von ihnen waren daheimgeblieben mit ihren Enkeln. Einer dieser Bewacher hieß Karl. Eines Tages kam er rüber und sagte: „Ihr werdet verlegt. Alle werden verlegt und ihr werdet marschieren. Ich werde nicht dabei bleiben und mit euch mitgehen. Ich muss an die Ostfront.“ An die russische Front zu gehen, hieß so viel wie in die Hölle zu gehen, es war die meistgefürchtetste Sache in der deutschen Armee, wussten wir. Jedenfalls wollten nun einige Kameraden fliehen und gingen zum Waschraum, wo auch die Plumpsklos waren. Es gab eine Reinigungsöffnung an der Rückseite, und gleich dahinter war ein Stacheldrahtzaun, der etwa acht bis zehn Fuß hoch war [2,50 bis 3m]. Eine ganze Anzahl von Männern, auch einer mit dem ich gut bekannt war, mit dem ich sogar heute noch bekannt bin, fragte mich, ob ich mit ihnen mitgehen wolle. Was bedeutete, mit ihnen durch die Jauche zu klettern und so durch den Zaun zu kommen. Ich sagte: „Nein, ich glaube ich bleibe lieber bei den anderen…“. Ich dachte wahrscheinlich, es wäre sicherer in einer größeren Gruppe von Männern, ich weiß nicht mehr.

Wir marschierten also nach Karlsbad, dort wurden die Wachen ausgetauscht. Unsere bisherigen Wachen hatten wir also an die Ostfront abgetreten. Nun bekamen wir Luftwaffe-Piloten als Bewacher, die abgeschossen worden waren und zum Teil kriegsinvalid waren, und außerdem hatten sie keinen Treibstoff für ihre Flugzeuge mehr. Aus Luftwaffe-Piloten macht man so schnell keine Infanterie, sie liefen nicht gern zu Fuß. Wir wurden mehrere Male angehalten. Ich erinnere mich noch an einen Mercedes-Tourenwagen, so einen Viersitzer, mit einem Offizier, der aufstand und rief: „Papiere bitte!“ Und unser Luftwaffe-Leutnant gab ihm irgendwelche Papiere rüber. Jedoch hatten wir bereits unsere Richtung geändert, denn wir hatten unsere Luftwaffe-Bewacher überredet lieber in Richtung der amerikanischen Linien zu marschieren. Dafür würden wir ein gutes Wort für sie einlegen, und sie würden medizinische Versorgung bekommen. Denn der eine konnte kaum laufen; er war eigentlich der Verantwortliche, der das Kommando hatte, er konnte wirklich kaum laufen. Wir hatten also schon die Richtung geändert. Eigentlich hätten wir Richtung München marschieren sollen, also in südliche Richtung, doch nun hatten wir ihnen eingeredet lieber nach Westen zu gehen. Wobei wir nicht wussten, wie weit nach Westen wir gehen mussten [bis zu den amerikanischen Linien].

Aber wir glaubten, nicht allzu weit, denn als wir noch im Gefangenenlager waren, standen die Amerikaner bei Hof, was ungefähr 20 Meilen entfernt war. Also nicht sehr weit. Jedenfalls kamen wir in eine kleine Stadt, alle schwärmten aus. Wir fanden eine Scheune, die voll Heu war, und ich schlief sehr gut, bis die amerikanische Artillerie begann die kleine Stadt unter Beschuss zu nehmen. Die Scheune hatte ein Ziegeldach, und ich konnte den Einschlag von Granatsplittern im Dach hören, also versuchte ich aus der Scheune zu kommen. Allerdings kämpfte ich mit dem Heu, es war stockdunkel und ich konnte nichts sehen. Schließlich schaffte ich es herauszukommen, und ich ging zur Rückseite des Bauernhauses. Hier hatten die Bauern ihr Vieh […], das durch ein Gatter und große Steine eingegrenzt wurde, es war ein guter Platz zum Verstecken. Das einzige wo man aufpassen musste, war das „Geschäft“ der Kühe – man musste andauernd hin und her rücken um auszuweichen. Am nächsten Morgen bekamen wir eine Auseinandersetzung zwischen einem der Luftwaffe-Piloten und zwei oder drei Gefangenen mit, es ging um die amerikanischen Linien. Dann kam ein großer amerikanischer Jeep mit einem 50-Kaliber drauf vorbei, nebenher rannten Deutsche. Wir sahen einfach zu, wie sie vorbeizogen und genossen den Augenblick. Die amerikanischen Einheiten hatten Order nicht weiter vorzudringen, sie sollten an Ort und Stelle bleiben und beschossen die Stadt, um etwas zu tun. Offenbar sollten jedoch die Russen kommen und an diesem Ort übernehmen. Genau hab ich das nicht herausgefunden, denn man versuchte zwar immer so viel mitzubekommen wie möglich, aber das ging oft nicht.

Als die Amerikaner uns bemerkten, brachten sie uns zurück zu ihrem Standort, und es lässt mir bis heute keine Ruhe, dass ich nicht weiß, welche Einheit es war, die uns übernahm und somit befreite. Wir verbrachten die Nacht in einem wunderschönen Haus; sie gingen einfach rein und beschlagnahmten es von den Leuten, die dort lebten. Wir schliefen in einem Bett. Im Lager waren unsere Betten Säcke aus Sackleinen, gefüllt mit Papierfetzen gewesen. Ein richtiges Bett fühlte sich so gut an. Sie brachten uns zur F..-Fabrik, die vollkommen zerstört war, praktisch dem Erdboden gleichgemacht. Hier blieben wir auch eine Nacht, wir schliefen einfach auf dem Boden. Danach ging es weiter zu einem amerikanischen Lager, einem sogenannten Zigarettenlager, dem die Soldaten Namen gegeben hatten. Dieses hieß Lucky Strike (es gab auch noch Philipp Morris) und befand sich dann bereits in Frankreich.

ins Deutsche übertragen von Antje Goßler, Mai 2014

Arnold Sprong hat dieses Interview im Jahr 2011 im Alter von Mitte 80 gegeben. Er sammelte nicht nur Namen anderer im Lager inhaftierter Gefangener, sondern fertigte auch eine Zeichnung des Lagers an und schrieb seine Erinnerungen daran auf. Die Textilfabrik, in der Arnold Sprong arbeitete, war die Gebrüder Uebel-Fabrik, wie er in seinem anderen Bericht genauer beschreibt.