Skip to content

Bericht von Hasso Wichmann über den Flugzeugabsturz im Bereich Gettengrün-Roßbach-Bad Elster in der Nacht vom 5. zum 6. März 1945

Hasso Wichmann war damals 11 Jahre alt.

In der Zeit von 1938 bis 1947 lebte ich in einem der deutschen Zollhäuser direkt an der tschechischen Grenze (Nähe Pfannenstiel). Da der jetzt wieder tschechische Bereich bis 1945 unter der Bezeichnung „Sudetengau“ als Teil des “Großdeutschen Reiches“ geführt wurde, war es für die Bewohner dieser Zollhäuser sinnvoll, sich aus versorgungstechnischen Gründen ins damalige Roßbach (jetzt Hranice) einbinden zu lassen; außer der Lebensmittel-, Schuh- und Kleiderversorgung bezog sich dies auch auf die Postzustellung, das Ärzte- und nicht zuletzt auf das Schulwesen. Dies alles resultierte aus der Tatsache, dass sich der Weg in die Stadt Bad Elster auf ca. 1 Stunde belief, der nach Roßbach hingegen nur auf ca. 25 Minuten. Ich wurde 1934 geboren, besuchte die 3. und 4. Klasse der Volkshochschule Roßbach und fuhr ab Herbst 1944 zur Oberschule nach Asch in die Kleinstadt (Hinweg per Kleinbahn, Rückweg per Autobus). 

Am besagten 6. März 1945 wurde sofort während der Zugfahrt nach Asch über das große Ereignis „Flugzeugabsturz im Pfarrwald“ (so wurde das Flurstück unmittelbar an der Grenze zu Gettengrün benannt) gesprochen. Dabei war uns Roßbacher Oberschülern klar, dass wir nach der Heimkehr vom Unterricht in Asch zunächst die Absturzstelle des Flugzeuges begutachten mussten. Mit drei Mitstreitern stürmten wir nach der Ankunft des Autobusses beim „Müller Moa“ (Endhaltestelle in Roßbach) eiligen Schrittes zur Aufschlagstelle des viermotorigen Lancaster-Bombers. Es waren viele Schaulustige anwesend, nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. Einige Männer beaufsichtigten wesentliche Flugzeugteile und die Toten und achteten darauf, dass es zu keinen Unregelmäßigkeiten kam; man muss hier darauf verweisen, dass ein bemerkenswerter Teil der Bevölkerung gegenüber den Bomberbesatzungen aus begreiflichen Gründen Hass empfand.

Auf dem Weg zur eigentlichen Aufschlagstelle des Rumpfes lag zunächst auf dem Weg ein Teil des Cockpits, daneben am Waldrand befanden sich Pilot und Co-Pilot, beide natürlich tot und mit Tannengrün abgedeckt. Beeindruckend fand ich den tollen Pilotendreß mit Filzstiefeln und Fallschirmpaket auf dem Rücken. In 100 m Entfernung lag in einer Schonung der Heckstand, an den wir Kinder nicht durften. Uns wurde erklärt, dass dort der Heckenschütze inmitten seiner Munition läge und das sei nichts für uns. Weitere 100 m in Richtung Grenze befand sich in einer Wiesensenke die eigentliche Aufschlagstelle der Maschine bzw. dessen, was davon übrig war. Dabei handelte es sich um einen großen Teil des Rumpfes mit beiden Innenmotoren. Hier roch es nach verbranntem Öl und verbranntem Benzin, Tote gab es nicht zu sehen. Am Seitenabhang dieser Aufschlagstelle lagen die beiden Außenmotoren. Die Dreiblattschrauben hatten diese nahezu eineinhalb Meter tief ins gefrorene Erdreich gebohrt. Sie waren alle erheblich verformt. Vor der Gaststätte „Grenzschänke“ lag der linke Flügel der Maschine, direkt hinter dem Außenmotor abgebrochen. Davor befand sich ein „Nottank“ des Motors, er war als solcher  beschriftet. In der 30 – 40 cm dicken Schneedecke konnten von dieser Tragfläche aus Spuren ausgemacht werden, die zu weiteren kleinen Bauteilen der Maschine führten und sich über Wiesen und Felder unserer Wohnung, den Zollhäusern, näherten. Mitten im Hochwald, 200 m neben unserem Wohnhaus, stand dort hochkant der rechte Außentragflügel dieser Maschine, versehen mit der englischen Kokarde. Noch Monate nach dem Flugzeugabsturz fanden wir Kinder mitten im Wald kleinere Blechteile aber vor allem Plexiglas und Polystyrol.

Da wir als Kinder neugierig waren und bei diesem Flugzeugabsturz auch Gespräche von Erwachsenen verfolgten, wurde ich Ohrenzeuge eines Gesprächs. Zwei Zivilisten unterhielten sich mit einem Luftwaffenfeldwebel, der einen Kopfverband trug. Im Verlaufe des Gesprächs erfuhr ich:
Dieser Feldwebel war mit einem Fliegerunteroffizier mit einer Me 262 (2-sitzige Nachtjägerausführung des ersten strahlgetriebenen Jagdflugzeuges) auf dem Ausbildungsflugplatz Eger (jetzt Cheb) gestartet, als man dort des einsamen Vogels gewahr wurde. Die Lancaster hatte am Bombenangriff von Chemnitz teilgenommen und dabei FLAK-Treffer erhalten. Ihr Pilot war bestrebt, so schnell als möglich einen von Alliierten bereits besetzten deutschen Luftraum zu erreichen, um dort notzulanden. Eine bereits damals verfügbare Luft-Luft-Rakete vereitelte jedoch dieses Vorhaben und sorgte für das Zerstückeln der Viermotorigen. Der Feldwebel hatte sich bei der Landung seines Flugzeuges seinen Kopf am Kanzeldach verletzt. Seine Ausführungen deckten sich auch mit den Schilderungen des Flying Officer E.J. Morris, wo von einer Tankexplosion an Bord des Flugzeuges berichtet wird.

Die Gefallenen wurden auf dem Friedhof in Roßbach beerdigt, jedoch dort vor geraumer Zeit exhumiert.

Ergänzend möchte ich bemerken, dass im Bereich des damaligen Flugplatzes Eger eine Endmontage der Me 262 erfolgte und mithin logisch war, dass Maschinen dieses Typs auch auf diesem Flugplatz eingesetzt wurden. 1949 habe ich mit eigenen Augen eine solche Maschine beim Grenzkontrollflug beobachtet, allerdings mit tschechischen Kokarden. Bekanntlich wurde dieser Typ von den CSSR-Luftstreitkräften eingesetzt, bevor sowjetische MIG-Typen zur Verfügung standen.
 
Hasso Wichmann
Jena, April 2012