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Der Sauhandel (1937) - von Bernhard Aechtner

Von: Bernhard Aechtner (1901 - 1983); Die Straße meines Lebens – Erinnerungen; zur Verfügung gestellt von Dr. Gerhard Aechtner
Die Familie von Bernhard Aechtner wohnte damals am Remtengrüner Weg 56 (später Geyer).


In Adorf gab es einen alten Schweinehändler. Seine Ferkel und Läuferschweine hatte er in einer Stallung hinter der "Garküche" untergebracht (welche sich in Adorf am Sand befand und beim Beschuss 1945 zerstört wurde). In der Gaststube saß er und wartete auf Käufer. In der Zeit von Januar bis März wurden die meisten Ferkel und Läufer verkauft.

Es war Anfang Februar. Ich wollte auch wieder ein Ferkel kaufen. An einem dienstfreien Tag ging ich an einem Vormittag in die Garküche und setzte mich zu dem alten Schweinehändler Beck. In den Vormittagsstunden gab es wenig Gäste. Wir kamen in ein Gespräch und ein Wort gab das andere. Beck wußte, daß ich jedes Jahr ein bis zwei Schweine habe und fragte mich, ob ich Ferkel kaufen möchte. "Ja", sagte ich, "es müssen Ferkel sein, die Schweine werden und keine Kümmerer. Die Leute sagen, deine Schweine fressen nicht." Beck tat beleidigt und sagte, er habe eine neue Sendung aus der Altenburger Gegend bekommen. Nach langem Reden und 'in die Hände schlagen' einigten wir uns dahin, ich nehme ein Ferkel und behalte es 14 Tage. Wenn es kein guter Fresser wird, muß er es wieder zurücknehmen.

Nach 14 Tagen ging ich wieder in die Garküche und setzte mich wieder zum alten Beck. Nach einigen belanglosen Worten sagte ich "Du kannst dir dein Ferkel wieder holen. Es frisst nicht und wird kein Fresser." Beck sagte, das Ferkel ist in der Herde aufgewachsen und gewöhnt, mit anderen zu fressen; ich soll noch ein anderes nehmen. Ich legte ihm klar, dass ich im Herbst einen großen Teil meiner Kartoffeln verkauft habe und deshalb keine zwei Schweine füttern kann. Der alte Beck rückte ganz nahe an mich heran und sagte: "Wenn du es für dich behältst und nichts weitersagst, sage ich dir, was du tun musst, wenn ein Ferkel ein guter Fresser werden soll." Beck erklärte: "Wenn zwei fressen, entsteht Futterneid, und sie fressen, solange etwas da ist. Wenn du keine zwei Ferkel hast, musst du dir anders helfen. Du besorgst dir einen alten Wandspiegel und hängst ihn schräg über den Trog. Den Raum zwischen Wand und Spiegel stopfe mit Heu oder Stroh aus. Wenn in den weiteren 14 Tagen das Ferkel nicht frisst, nehme ich es zurück."
Meine Schwiegermutter hatte einen alten Spiegel, und ich hängte ihn über den Trog. Unser Ferkel, welches wir Liesel nannten, war im Stroh kaum zu sehen. Ich überzeugte mich noch einmal, ob der Spiegel auch richtig hing, schüttete Futter in den Trog und lockte die Liesel. Sie kam auf den Trog zu und fraß, bis der Trog leer war. Dies wiederholte sich bei jeder Fütterung. An einem Vormittag ging ich wieder in die Garküche, setzte mich wieder zum alten Beck, bezahlte das Ferkel und kaufte ihm noch einen Faustpinsel für den guten Rat, der mir noch viele Jahre gute Dienste leistete.

Unsere Liesel wog einen halben Zentner, und mit einem Mal fraß sie nicht mehr. Ich konnte keine Krankheit wie Rotlauf oder Blattern konstatieren. Ich schüttete Futter in den Trog und wir beobachteten die Liesel. Sie begann zu fressen und hörte gleich wieder auf und 'tschutschte' nur noch das Dünne aus dem Trog. Da befahl mir der Arzt, der Liesel die Beine zusammen zu binden. Dann schob er ihr eine Art Gummiknüppel zwischen die Zähne und suchte die innere Schnauze ab. Den Gummiknüppel nahm er wieder heraus und sagte: "Sie werden das Schwein schlachten müssen. Es hat einmal auf etwas sehr Hartes gebissen und sich dabei einen Zahn verletzt. Mit der Zeit faulte er bis zum Nerv, und jetzt hat die Liesel Zahnschmerzen, besonders beim Fressen." Bei einem Schwein kann kein Zahn gezogen werden, weil die Zähne mit dem Kiefer verwachsen sind. Ich fragte, ob es noch eine andere Möglichkeit gäbe, den Zahn und das Schwein zu erhalten. Der Arzt lächelte und sagte: "Wenn Sie das Geld anwenden wollen, können Sie auf diesen Zahn eine Goldkrone aufsetzen lassen. Wenn das Schwein geschlachtet wird, bekommen Sie das Gold wieder und können es verkaufen." Ich fragte, was es kosten würde. Da sagte er, etwa 40 Mark. Ich überlegte, wenn ich das Gold wiederbekomme, kann der Schaden nicht so groß sein, - und ich entschied mich für Zahnfüllung. Der Arzt sagte: Diese Zahnfüllung, die einer Operation gleichkommt, kann ich allein nicht ausüben. Da muß ich noch einen anderen Kollegen heranholen." Es wurde für diese Operation der nächste Donnerstagnachmittag, 16 Uhr festgelegt.

Die Operation hat Liesel gut überstanden. Bei der ersten Fütterung stellte ich fest, dass die Liesel eitel wurde. Bevor sie mit dem Fressen begann, besah sie sich vor dem Spiegel den Goldzahn.
Unsere Liesel nahm zu an Größe und Gewicht und wurde eine prächtige Sau. Das Jahr ging zu Ende, der Winter kam - und auch die Zeit des Schlachtens.
Der Tag, an dem Liesel geschlachtet wurde, war ein Freitag, und der Schlächter hieß Heinrich mit seinem Rufnamen. Es war ein stürmischer und kalter Tag. Im Hof unter freiem Himmel zu schlachten, war kein Vergnügen. Mit einem Strick an einem Hinterbein führte ich Liesel aus dem Stall. An eine Zaunsäule banden wir sie an. Heinrich wollte sie mit einem Schlachtbeil durch einen Schlag auf den Kopf betäuben. Liesel war sehr unruhig und bewegte sich immer hin und her.  sie einen Augenblick still stand, schlug Heinrich zu. Liesel warf den Kopf zur Seite und brüllte auf. Heinrich hatte nur die linke Seite der Schnauze getroffen. Da spaltete der nächste Schlag den Kopf. Bei dem Blutauffangen musste ich sehr schnell rühren, damit das Blut bei dieser Kälte nicht so schnell gerann. Beim Abschaben der Borsten erzählte ich Heinrich, dass das Schwein im linken Unterkiefer einen Goldzahn hat, der durch den Schlag verloren sein kann. Der Heinrich lachte und sagte: "Jetzt bin ich schon so alt und habe schon so viel geschlachtet und habe noch nicht erlebt, dass eine Sau einen Goldzahn hatte." - "Heinrich, es kommt vielleicht alle heilige Zeit mal vor. Aber, wenn du es mir nicht glaubst, zeige ich dir die Quittung. Die ganze Behandlung hat 40 Mark gekostet, und es wurde mir gesagt, die Goldkrone kann ich wieder verkaufen und die Einbuße wäre nicht groß." Wir hängten die Liesel an eine Leiter, die an einen Schuppen gelehnt wurde. Heinrich begann auszuschlachten, aber erst trennte er den Kopf ab. Diesen zerlegte er in zwei Teile. Wir suchten nach der Goldkrone und konnten nichts finden. Beim Ausschlachten durchsuchte Heinrich den Magen und auch die Därme, den Inhalt ließ er vorsichtig durch die Finger gleiten, aber er konnte keinen festen Gegenstand fühlen.