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Otto Staudinger

Haben Sie schon einmal etwas von diesem Adorfer gehört?

Otto Staudinger (1867 – 1952)
Ein Vogtländer (und gebürtiger Adorfer) als Historiker der Stadt Löbau

„Professor Staudinger ist geborener Vogtländer, und er trägt in seinem Wesen ganz die Züge seiner Heimat“, schrieb 1938 die „Oberlausitzer Heimat“ über Otto Staudinger (1867 – 1952), der bis in die Gegenwart als bester Kenner der Löbauer Stadtgeschichte gilt. Wer im „Plauener Seminarboten“ stöbert, stößt in der Rubrik „Vogtländer hinterm Tintenfass“ auf ihn als einen äußerst fleißigen Absolventen des Plauener Lehrerseminars. Hinter den Namen Otto Staudinger steht eine interessante Lebensgeschichte.

Die Familie Staudinger ist im oberen Vogtland bekannt. Der Markneukirchner Gerichtsdirektor Carl Heinrich Theodor Staudinger, zugleich Gerichtsdirektor für Bad Elster, veranlasste 1817 die Bildung der Elsteraner Kurkapelle durch seinen Freund Johann Christoph Hilf (1783 bis 1885) und engagierte sich maßgeblich 1835 im „Comité zur Emporbringung des Elsterbades“ (ebenso wie der damalige Adorfer Bürgermeiser Todt). Otto Staudingers Vater, Hermann Julius Staudinger, war Rechtsanwalt in Adorf. In dem Elsterstädtchen wurde Otto Staudinger am 2. Dezember 1867 geboren. Seine Schulbildung erhielt er in Adorf und bis 1883 an der Realschule in Reichenbach, die er mit dem Reifezeugnis verließ. Staudinger wollte Lehrer werden, daher besuchte er bis 1887 das Plauener Lehrerseminar und fand nach seinem Abschluss hier als Hilfslehrer (bis 1890) seine erste Anstellung. Ostern 1890 wechselte der spätere Geschichtsforscher als ständiger Lehrer für Turnen, Mathematik, Französisch und Deutsch an die I. Bürgerschule im vogtländischen Reichenbach, 1895 berief ihn das königliche Unterrichts-Ministerium an das neugebildete Lehrerseminar in Rochlitz. Hier avancierte Staudinger 1898 zum Oberlehrer und ging, ausgestattet mit einer in Dresden abgelegten staatlichen Fachprüfung für Französisch, im Jahre 1900 an das Lehrerseminar nach Löbau.

Im Juli 1901 heiratete Otto Staudinger Johanna Liebau, die Tochter des Kaufmanns und Landtagsabgeordneten Oskar Liebau; aus der Ehe gingen zwischen 1903 und 1917 fünf Kinder hervor. 1912 in den Löbauer Stadtrat gewählt, brachte diese Funktion für den Seminaroberlehrer Otto Staudinger ein neues Betätigungsfeld. Als Stadtverordneter hatte er sich um die Wasserversorgung der Stadt zu kümmern, und dies tat der gebürtige Vogtländer in einer umfangreichen, historisch genauen und detailgetreuen Schrift, die 1915 in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Löbauer Humboldtvereins erschien. Als sein bedeutendstes Werk zur Stadtgeschichte dürfen Staudingers groß angelegte Arbeiten zu den Grundbesitzverhältnissen der Stadt gelten, 1921 erschienen in der Festschrift zur 700-Jahr-Feier Löbaus. Durch die Auswertung zahlloser Akten entstand ein quellengesättigtes Werk, welches über die Stadtgrenzen hinaus Beachtung fand. Staudinger publizierte daneben vor allem in den „Löbauer Heimatblättern“ – diese hatten bis zu seinem 70. Geburtstag Ende 1937 schon über 100 Arbeiten des profilierten Stadthistorikers gedruckt, in Kalendern, Sammelbänden oder dem „Neuen Lausitzer Magazin“, dem Periodikum der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften mit Sitz in Görlitz. Eben jener Gesellschaft, den ältesten Geschichtsverein Deutschlands überhaupt (Gründungsjahr 1779), trat Staudinger 1918 bei, wurde 1929 dort Ehrenmitglied und erhielt 1939 die „Richard-Jecht-Medaille.“ Staudinger, der seit 1920 den Professorentitel trug und 1921 zum Studienrat aufstieg, leitete von der Gründung 1921 bis 1934 auch die „Freie Vereinigung Löbauer Geschichtsfreunde.“

Dem Lehrerberuf blieb er treu, auch als 1927 das Seminar in eine Deutsche Oberschule umgewandelt wurde. Schüler, so der später bekannte Mundartdichter und Mundartforscher der Oberlausitz, Herbert Andert, erinnert sich des liebevoll „der alte Stadl“ genannten Pädagogen als einem äußerst fleißigen, stets korrekten und freundlichen Lehrer, der mit seinen Schülern gern Exkursionen in die Umgebung unternahm. Hierbei konnten die Zöglinge der Überlieferung nach dem Schritt Staudingers kaum folgen, der sich in täglichen Gängen auf den Löbauer Berg („Täglich einmal, daselbst am Tage der Goldenen Hochzeit“) bis ins hohe Alter eine erstaunliche Kondition bewahrte – so auch ständige Touren zu Fuß von Löbau nach Georgswalde (Jirikov) und zurück, unternommen im Sommer von Staudinger an jedem Samstag. Staudinger war von 1919 bis 1921 Vorsteher der Stadtverordneten. Immer neue Aufgaben bekam er übertragen: Bereits seit 1913 betreute de das Stadtmuseum und folgte 1928 Julius Sandt als Leiter. Seit 1922 führte er außerdem das Ratsarchiv und ordnete es neu.

Mit dem Erreichen des 65. Lebensjahres 1932 schied der gebürtige Adorfer aus dem Lehrerberuf aus, um sich ganz seinen Forschungen und der Museumsleitertätigkeit (bis 1943) zu widmen. Der NSDAP trat Staudinger nicht bei und engagierte sich in der Zeit des Dritten Reiches politisch nicht. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges sahen es die Löbauer Stadtverordneten an der Zeit, das Wirken Otto Staudingers für das Gemeinwohl auf geeignete Weise zu würdigen. Am 19. Februar 1946 erhielt die Hausenstraße noch zu Lebzeiten des gebürtigen Vogtländers den Namen Otto-Staudinger-Straße. Am 30. April 1948 wurde ihm mit Zustimmung der Kreiskommandantur der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland die Ehrenbürgerwürde der Stadt Löbau verliehen. Staudinger war zu diese Zeit bereits wieder Leiter des Stadtmuseums, für das er bereits seit den 1920-er Jahren zahlreiche Sonderschauen organisiert hatte.

Trotz aller Ehren durchzogen Konflikte die letzten Lebensjahre Otto Staudingers. Er sah sich Angriffen ausgesetzt, wonach er für das Museum nur gesammelt, nicht aber das Material für die Bildung breiter Volksschichten nutzbar gemacht hätte. Diese Vorwürfe trafen Staudinger tief, so dass er am 1. April 1951 den Lehrer Max Raschke zu seinem Nachfolger vorschlug. Mit der Neuordnung des Museums konnte sich Staudinger nicht anfreunden. Einen „Ruhestand“ in diesem Sinne erlebte Otto Staudinger nicht. Knapp ein Jahr, nachdem er auch die letzten Funktionen niedergelegt hatte, starb er am 7. Dezember 1952, fünf Tage nach seinem 85. Geburtstag. Kaum ein Thema der Löbauer Stadtgeschichte hatte er fast vier Jahrzehnten Forschung seit 1912 nicht bearbeitet.

So, wie ihn trotz mancher Differenzen mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg seine langjährige Wirkungsstätte Löbau ehrte, verdient er es, auch im Vogtland als bedeutender Historiker erinnert zu werden – wahrhaft ein großer Sohn der Stadt Adorf.

Text mit freundlicher Genehmigung von Ronny Hager. 2005
Zuerst erschienen in: Neikirnger Heimatbote Nr. 2/2005, S. 72f.

Quellen: 
Jörg Zebisch (o.J.): Otto Staudinger – ein vogtländischer Löbau-Kenner. Löbauer Journal Heft 3, S. 34 – 40. 
Ohne Autor (1937): Der beste Kenner der Löbauer Stadtgeschichte. Professor Staudinger 70 Jahre alt. Sächsischer Postillon, Löbau, Nr. 280 des 153. Jahrgangs vom 1. Dezember 1937. 
Ohne Autor (1938): Professor Staudinger, der beste Kenner der Löbauer Stadtgeschichte. In: Oberlausitzer Heimat 8/1938, S. 153 – 155.
Ohne Autor (o. J.): Prof. Otto Staudinger. In: Löbauer Journal Heft 9, S. 31 – 32.